Puschtra Mund Art in der Dekadenz Brixen


Pfutschiggeingga

Heinrich Schwazer, Neue Südtiroler Tageszeitung, 21. Februar 2003

Nur kein Schmalz: Der Schauspieler Sebastian Baur führte in einem wunderbaren Abend in der Brixner Dekadenz die Dialektdichtung aus dem Heimattümelei-Eck heraus und ließ das Poetische der Südtiroler Kultur aufleuchten Mit welch gelassenem Ernst wird hier Poesie zelebriert! Ein Lesepult in Form eines Notenständers, ein Barhocker, ein Klavier. Schummerlicht. Wer Lesungen kennt, ist eine andere Dramaturgie gewöhnt: Die Reduktion von Literatur auf Holztisch, Wasserglas, Text und Autor. Wenn es sich um Mundart-Dichtung handelt, kippt das Ganze meist in trachtige Heimatabende um.

Nichts davon mutete Sebastian Baur seinem Publikum in der Brixner Dekadenz zu. Statt die eine oder andere Erwartung zu erfüllen, riskierte er eine seltene Paarung. Puschtra Mundart vorgetragen im Stile eines Entertainers, eines Crooners, der sein Publikum ganz allein unterhält, es verzaubert, der singt und Geschichten erzählt. Die Platzanweiser des Kulturbetriebs hätten wahrscheinlich ihre liebe Mühe mit diesem Abend.

Vielleicht hat Sebastian Baur, Schauspieler aus Toblach mit Wohnsitz in Berlin, deshalb einen seltsamen Vogel namens „Pfutschiggeingga“ zum Maskottchen seines poetischmusikalischen Soloabends auserwählt. Der „Pfutschiggeingga“, puschtererisch für Sumpfmeise, ist ein winziger Vogel, der sofort stirbt, wenn man ihn in einen Käfig sperrt.

Doch der Vogel ist auch poetisches Programm in Baurs Gedichten in „Puschtra Mundart“.

H. C. Artmann hatte ihm in seinem legendären Gedichtband „med ana schwoazzn dintn“ im Jahr 1958 als Nachtigall ein Denkmal gesetzt, in Baurs Übertragung des Gedichts ins Pustertalische wird daraus ein „Pfutschiggeingga“.

Der Name ist schlicht eine Nachahmung der Kadenz des Vogelgesangs, womit der Animismus der poetischen Sprache, ihr Zurückgehen zu den Quellen des Sprechens, dorthin, wo das Wort noch nicht Begriff ist, sondern purer Klang, sinnfällig wird.

Dass es um eine Gemütsverwandtschaft geht, machte Baur an diesem Abend von Anfang an klar. Das Puschtrerische ist die Sprache seiner Kindheit, ein Dialekt, der die Poesie in der DNA führt.

Den Anstoß zu den Gedichten gab H. C. Artmann persönlich. Baur lernte den Wiener Meister des Dialekt-Parlando, der mit seiner „schwoazzn dintn“ eine wahre Dialektwelle ausgelöst hatte, in den 70er Jahren kennen. Damals gab ihm Artmann den Rat, „alles aufzuschreiben“ und inspirierte ihn dazu, seine Gedichte ins Puschtrerische zu übertragen.

Oberstes Prinzip: „Nur kein Schmalz“. Die Übertragung funktioniert nicht mit allen Texten, weil vieles aus dem Wienerischen schlicht nicht zu transferieren ist. Doch wo nur lokale Eigenheiten wie die Topographie angepasst werden, sind der Sound und der finstere Humor Artmanns noch hundertprozentig erhalten.

Neben Artmann-Nachdichtungen trug Baur noch Übertragungen der jiddischen Lyriktexte aus Rochl Korn’s Gedichtband „Dorf“ und Versionen von Chansons und Liedern von Boris Vian, Itzik Manger, Lejb Rozental und eigene Sachen vor.

Thematisch kreisen die Gedichte um Liebe, Erotisches, Tod, Dorf und Heimat, Bilder und Farben seiner Kindheit in Toblach. Sämtlich hochverdichtete Empfindungen, die Baur einzig durch den Klang zum Leben zu erwecken versteht. Um das Emotionale klar abzusetzen, sprach er die Konferenztexte auf hochdeutsch.

Wer ihm zuhörte, machte die seltene Erfahrung, dass der Dialekt das essenziell Poetische der Südtiroler Kultur ist.


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